Weinbaugebiet Vinschgau

Die Herren des Weins

Der Weinbau im Vinschgau: Eine spannende Zeitreise in die weithin unbekannte Welt des „Vintschger“ Weins.

von Sebastian Marseiler

Hans Sinkmoser war ein kühler Rechner und ein Mann mit Geschmack. Ersteres musste er sein als „Kellermeister“, als Chef der Wirtschafts- und Verwaltungszentrale des Landes, der die Geld- und Naturalabgaben kontrollierte und dem die Steuerabgaben und die Gerichtsbarkeit unterstellt waren.

Gleichzeitig war Sinkmoser den schönen Dingen des Lebens zugetan.

Dass er das Felsennest Jufal am Eingang zum Schnalstal erwarb und es als Renaissance-Residenz ausbauen ließ, kann einem gewissen Repräsentationsbedürfnis zugeschrieben werden.

Die Ausstattung aber beweist Sinn für Stil und für die schönen Dinge des Lebens.

Dem Zeitgeschmack entsprechend tragen die Räumlichkeiten programmatische Sinnsprüche. Einer davon dürfte für den Schlossherrn mehr gewesen sein als nur Modeschnickschnack. Über der Tür am Eingang zum Ostturm steht sein Lebensmotto – wollen wir einmal annehmen: Gott schenkt für gross Erdenpein/ ein gutes Weib Gesang und Wein.

Dass der zitierte Wein an den Hängen von Jufal gewachsen sein könnte, wollen wir einmal dahingestellt sein lassen. Und überhaupt: nur schwer lässt sich Gesang anstimmen, wenn vom Vintschger Wein in der Geschichte die Rede ist.

Erstens fließen die Wein-Daten spärlich.  Zweitens wurde dem Vintschger Wein nicht gerade Rühmliches nachgesagt. Wein in der Frühgeschichte? Bis jetzt ist noch kein Traubenkern ausgegraben worden. Kann schon sein, dass der eine oder andere pensionierte römische Legionär auf seinem „prädium“, seiner Abfertigung in Form eines kleinen Landgutes – Flurnamen wie „Maraies“ von Marius deuten darauf hin –  etwas Wein anbaute.

Der ersten historischen Quelle begegnen wir in der Gestalt des hl. Korbinian um 700 herum, dem der Bayerherzog Grimoald zwei Weingüter schenkte, eins in Kuens und eines  – man staune – in Kortsch.

Kann gut sein, dass der Herzog den religiösen Eiferer, der ihn dauernd wegen  seines Verhältnisses mit der Frau seines verstorbenen Bruders anranzte, endlich weit genug weg wissen wollte: Jetzt zeig einmal, dass du auch etwas anderes kannst und das im Weinbau in Kortsch!

Eine wichtige Quelle im Mittelalter ist der Chronist Goswin aus dem Kloster Marienberg. In seinem Registrum sind nicht wenige Weinhöfe und – güter von Kortsch  abwärts aufgelistet.

Außerdem erfahren wir durch ihn detailliertere Auflagen für die Qualität des Weines.

Über die Jahrhunderte hin halten sich zwei Kriterien: der „Herrenwein“ und der „Gewöhnliche“. Marienberg, Karthaus, Kloster Müstair und die Süddeutschen Klöster werden zu den „Herren des Weins“ im Vinschgau. Sie sind es wohl auch, die wertvolle Impulse im Weinbau und in der Weinherstellung setzen. Es ist schon ein Gemeinplatz, wenn vom Weinkonsum in den Klostergemeinschaften die Rede ist.

Offiziell angefangen hatten alle mit der Regel des hl. Benedikt, der seinen Mitbrüdern „ propter infirmitatem“, der menschlichen Schwäche wegen, täglich eine Hemina Wein gestattet. Über dessen genaues Maß streiten sich die Historiker, sie dürfte ungefähr das Volumen heutiger Siebenzehntelflasche besessen haben. Wenn die doch nicht gerade wenigen Klöster Wein aus dem Vinschgau beziehen, spricht für den Vintschger Wein. Dass dabei mindestens zwei Qualitäten dabei waren, ist erklärlich: der gute ist für die frommen Kehlen bestimmt, der weniger gute für das Gesinde, die einfachen Knechte und Arbeiter/innen (?) des Klosters. Vergessen wir nicht: Brot ist im Mittelalter eher Mangelware, Käse allerdings allgegenwärtig: Und den bekam man halt leichter mit ein paar Schluck Wein hinunter, auch wenn es ein kratziger Säuerling war.

Womit wir beim Vetzener wären. Was kursieren nicht alles für dumme Bemerkungen über diesen geschmähten Wein. Notiz am Rande: Vintschgerwitze wie über die Sarner gibt es keine, aber über den Vintschger Wein haben sich alle möglichen Lästerzungen ausgelassen. Sicher, der Vetzener erreicht in kühlen oder regnerischen Sommern auch heute noch ordentliche zweistellige Säuregrade. Wenn aber historische Quellen davon sprechen, dass Unterländer Weinbauern in heißen Jahren den Vetzener aufgekauft haben, um damit ihre „marmeladigen“ Weißen aufzufrischen, so ist das letztlich ein Kompliment für den Vielgeschmähten.

Einen stichigen Säuerling schüttet kein Unterländer Weinbauer in sein Weinfass. Auch sollen auf diese Weise Weine für den Transport in süddeutsche Klöster fit gemacht worden sein.

Ich habe dazu keinen Geringeren als den Kellermeister Willi Stürz danach gefragt und der meinte, das könne sehr wohl der Fall gewesen sein, um den Weinen Struktur für die Strapazen der Reise zu geben. Weil wir bei den Transporten sind: Bei den Weinfuhren über den Brenner sind Überfälle bekannt, ebenso wie Anzapfen durch die Fuhrleute selbst. Damit denen die Versuchung nicht zu groß wurde, bekamen sie einen randvoll gefüllten Bitter neben sich auf den Kutschbock.

Überliefert sind auch Karrnergeschichten: Während die „Weiber“ den Fuhrlauten gluurige Augen und sonst was machten, waren die Männer hinten an der Fuhre mit dem Bohrer zugange. Das ging so weit, dass manche Fuhren von berittenen Eskorten begleitet wurden.

Von Weinfuhren durch den Vinschgau ist nichts Derartiges bekannt. Doch: Der Bischof von Chur bezog ein beträchtliches Quantum Rebsaft aus der Tiroler/Meraner Pfarrei. Wenn nun diese Fuhren in Sichtweite des Wächters auf der Churburg kamen, schickte der Matscher (Graf) seine Leute hinunter um einen ordentlichen „Koschter“.

Der muss ausgiebig und über Jahre ausgefallen sein, denn der geschädigte Churer Gottesmann kam mit seinen Klagen bis vor den Kaiser selbst – ohne großen Erfolg zu ernten. Lästig für die Klöster waren auch die vielen Zölle, gegen die sie sich immer vehement und meist auch mit Erfolg wehrten: beim Zoll in Staben waren für eine Weinfuhre (ca. 620 Liter) zwölf Kreuzer zu berappen, in Laas wurde nochmals kassiert. (Die Glurnser Wirte umgingen den Zoll durch Weinschmuggel aus dem Veltlin.)

Zollfrei gelangte der Wein für die Patres nach Karthaus, es waren beträchtliche Mengen Wein, die da hineingesäumt wurden und den Schnalser Bauern muss die tägliche Milchsuppe sauer aufgestoßen sein beim Anblick der vielen „Lagln“, die vom Hohen Haus in Tschars nach Allerengelsberg transportiert wurden.

Ich habe nie ganz verstanden, wer den Wein dann konsumierte; die 20 Einsiedler in ihren Zellenhäuschen können es ja kaum gewesen sein, wenn man sich deren mönchischen Askese vor Augen hält. Doch Mephisto flüstert: Schläft es sich nicht besser mit einem Räuschchen im Sarg als Bettstatt? (In so einer schliefen die Mönche nämlich.)

Jedenfalls waren die Klosterherren auf Qualität und Rentabilität bedacht. Schon bei Goswin können wir nachlesen, wie das Kloster Marienberg einer Bäuerin in Naturns Auflagen machte, die klostereigenen Weingüter in „ treuer, guter und nützlicher Pflege zu haben.“

Sollte sie das nicht tun, „dann sind ihre Rechte voll und ganz in unseren Händen“ Marienberg bezog zu Goswins Zeiten an die 17 Yhrn (Urnen) Meraner Maß zu 78,926 Litern aus dem Vinschgau. Das sind an die 1300 Liter, nicht gerade viel für eine 15-köpfige Mönchsgemeinschaft. Wird aus der Meraner Gegend schon auch noch was dazugekommen sein. Aber es bleibt festzuhalten: der Vinschgau ist ein Weinland, in allen Dörfern Kortsch-abwärts stehen Torggln.

Es ist ein Weinland mit einigen Besonderheiten.

Wenn historische Quellen davon sprechen, dass Unterländer Weinbauern in heißen Jahren den Vetzener aufgekauft haben, um damit ihre „marmeladigen“ Weißen aufzufrischen, so ist das letztlich ein Kompliment für den Bielgeschmähten.

Zu diesen zählen die bis zu einen Kilometer und mehr langen Wegpataunen. Über öffentliche Wege hatten die Bauern vom Rande ihres Grundstückes aus hohe Pergln über die öffentlichen Wege gezogen; sie sind noch in Erinnerung der ganz alten Leute in Galsaun und Vetzan. Angeblich soll sich eine solche Pataun auf dem Weg hinter Pfraum in Kastelbell erhalten haben.  Steuerrechtlich befanden sie sich in einer Grauzone: Wie soll auch eine Ernte über einem gemeinen Weg fiskalisch behandelt werden? Nicht selten behinderten sie die Durchfahrt.  In den Dorfsatzungen von Kortsch von 1614 findet sich der Artikel 37, der von „Irungen“ (das Vintschgerische „iirn“, im Wege sein) der Säulen spricht. „Damit die gemeinen Wege und Straßen frei und offen, sollen die Säulen, wo sie gefährlich stehen und Irung bringen, alle anders gesetzt werden.“

Die Arbeit in den „Steïln“, den schmalen Terrassen war aufwändig und ist es noch. Trockenmauern geben ihnen ein regelmäßiges Gefälle und halten das Erdreich. Im Herbst wurde der Boden zum Rebstock hin „gehauen“ oder gepflügt, im Frühjahr wieder „ausgezogen“, wobei die Erde mit der Haue vom Stock entfernt und eine Furche fürs Wassern gezogen wurde. Gewassert wurde wenig, zur Zeit der Blüte und kurz vor der Reife.

Immer wieder stößt man auf Ermahnungen der Grundherrn an die Eigenleute, die Weinacker ordentlich in Schuss zu halten, Stauden auszuhacken oder Schatten machende Bäume zu fällen. Auch an wohlmeinender Literatur fehlt es nicht. Hans Haring, Kaplan der Herren von Annenberg verfasst um 1518 in Latsch das „Pelzbüchl“, eine Anleitung zum Obst und Weinbau, wo sich der Autor diverser Quellen bediente. Mag der eine oder andere Vorschlag sich recht abstrus anhören, so sind andere Vorschläge gar nicht so unzeitgemäß.

Allerdings sagt der Experte Helmuth Scartezzini dazu: „Meines Erachtens bringt sie (die Schrift, Anm. d. Verf.)  nichts Wesentliches zum heimischen Weinbau, da es sich um eine fast wortgetreue Wiedergabe des Pelzbuchs aus der Hand des Gottfried von Franken handelt. Diese Lehrschrift, wohl vor 1300 verfasst, zum Obst- und Weinbau im Mittelalter mit Hinweisen zur Weinlese und Weinverbesserung sowie zur Herstellung von Kräuterweinen und Essig war mehrfach Ausgang zu den verschiedenen Anleitungen […].“ Immerhin belegt die Schrift, dass die Grundherrn bestrebt waren, den praktischen Bildungshorizont ihrer Bauern zu heben.

Klimaverschlechterung, das Auflassen der Klöster und andere Faktoren führen zu einem schleichenden Niedergang. Auch kellertechnisch wurde schlampig gearbeitet. Da lagerte der Wein neben dem Kobis, den Erdäpfeln, dem Gselchten, dem Käs und dem Speck.  Der Wein wurde nicht selten bis im Frühjahr auf dem Trester gelassen und sollte er einen Stich haben, wurde der Stander trotzdem leer. „Getrunken wurde alles!“, sagt der Vater von Leo Forcher in Galsaun. Die häufigste Weinsorte war der gemischte Satz, in den alles, Rotes und Weißes, hineinkam: der Fraueler, der rote Heunische, der Partschniser, der (die?) Salzen, die Versailer (oder: Versoarer), der Portugieser, der Vernatsch. Und was sonst halt noch so wuchs an Haus- und Stadelwänden.  Reine Sorten gab es im Schnitt kaum, da wurde gekauft, was auf der „Landspråch“ in Goldrain halt so an Rasln kribuskrabus angeboten wurde.  Gab es um 1900 im Vinschgau an die 200 ha Anbaufläche Wein, zählen wir in den Neunzehnhundertsiebzigern gerade noch 47 ha. Dazwischen war ein Äpfelzunami durchs Tal bis hinauf in die Steïln gerast.

Es waren ein paar helle Querköpfe, die an den Vintschger Wein glaubten, der Leo Forcher, der Hubert Pohl und der Oswald Schuster, und die am 25. 2. 1981 in Kastelbell mit 65 anderen den Vinschgauer Weinbauverein gründeten. Und allmählich wurden aus den Vintschger (Wein)Schmuddelkindern noble, feingliedrige Prinzessinnen – um die die Bewerber aus Nah und Fern Schlange stehen. Darüber ein andermal.

Fotos: ©Roman Gasser

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