Liebes Wetter, wir müssen reden!

Die Bauernregeln im Weinbau

Fotos: ©Provinz-Suedtirol

von Maria Kampp

Alle reden vom Wetter, aber keiner unternimmt was dagegen. Früher war es schwer ohne Wetter-Apps. Wer heute auf den Berg gehen will oder zum Grillabend eingeladen hat, wirft einen kurzen Blick aufs Smartphone und weiß Bescheid. Zutreffende Wettervoraussagen erleichtern die Freizeitplanung, in Landwirtschaft und Weinbau dagegen sind sie unverzichtbar. Das Ausbringen von Schutz gegen Pflanzenkrankheiten, Bewässerung, der Zeitpunkt von Ernte und Lese – sie alle und noch viel mehr richten sich nach dem Wetter.

Wetterdienste können schon rund sieben Tage im Voraus sagen, wie das Wetter wird, zumindest wenn es um sogenannte Großwetterlagen geht. Das funktioniert mithilfe von Messgeräten und Satellitenaufnahmen. Als es diese Geräte noch nicht gab, mussten unsere Vorfahren auf Weisheiten und Erfahrungen ihrer eigenen Vorfahren zurückgreifen. Häufig ging es dabei um Voraussagen für die kommenden Monate und Jahreszeiten. Wird der Winter kalt und der Sommer warm? Oder ist es genau andersrum? Wird es Schnee geben, Regen, Sonnenschein? Diese Fragen haben so manchem Bauern schlaflose Nächte bereitet. Kein Wunder, dass seit Menschengedenken sogenannte Bauernregeln existieren. Sie basieren auf genauer Beobachtung und jahrelangen Erfahrungswerten. Des Bauers prüfender Blick gen Himmel war unabdingbar für die Arbeit auf dem Feld, im Obstgarten und im Weinberg, oftmals sogar überlebenswichtig.

„Der Mensch besaß schon immer ein lebhaftes Interesse am Wetter und dessen Entwicklung“, so Dieter Peterlin vom Landeswetterdienst in seiner Publikation „Von den Bauernregeln zur modernen Wettervorhersage“. „Dies gilt insbesondere für die Landwirtschaft, deren Ernteerträge maßgeblich vom Wohlwollen des Wetters abhängen. Für Obst- und Weinbauern ist vor allem die Niederschlagsvoraussage von unschätzbarem Wert, da basierend darauf u.a. die Abwehr von Apfelschorf und Rebenperonospora ausgerichtet wird. Aber auch für Bergbauern, welche die Wiesen bestellen, ist eine gute und vertrauenswürdige Wetterprognose Gold wert. Um auf die vielseitigen Wetterbedingungen vorbereitet zu sein, entstand schon früh der Wunsch, die zukünftige Entwicklung des Wetters vorherzusagen. Zeugen davon sind die unzähligen Wetter- und Bauernregeln, welche in fast jeder Ortschaft bekannt sind.“

Bauernregeln sind alte Volkssprüche. Sie sind über Jahrhunderte durch genaue Beobachtung der Naturereignisse entstanden und wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Damit sich die Regeln besser einprägen konnten, wurden sie hauptsächlich in Reimform verfasst. Auch heute hört man sie allerorten, jeder kennt sie. Jedoch fragt man sich, ob in Zeiten von Wetter-Apps, Niederschlagsradar und Wetterballonen die alten Reime noch eine Rolle spielen. Wie zuverlässig sind die volkstümlichen Vorhersagen wirklich? Haben sich die weisen Sprüche bewährt? Sind sie angesichts des Klimawandels und großer regionaler Unterschiede überhaupt noch relevant?

Bauern- und Wetterregeln haben eine lange Tradition, im Weinbau wie in der übrigen Landwirtschaft. Bereits im Altertum waren sie bekannt. Aristoteles unternahm in seiner Meteorologica einen ersten wissenschaftlichen Versuch, Wetterregeln zu ergründen. Erst in der Zeit der Renaissance entwickelte sich die Meteorologie dann weiter, unterstützt von der Existenz neuer Handelsrouten, die dem Menschen ein besseres Verständnis von Erde und Wetter vermittelten. Galileo Galilei vertrat die Überzeugung, dass sich viele Wetterphänomene wissenschaftlich erklären lassen.

Die Bauernregeln decken ein breites Spektrum ab. Bestimmte (Groß-)Wetterlagen in bestimmten Wochen und Monaten galten bereits in der Antike als richtungsweisend für zukünftige meteorologische Ereignisse. So heißt es beispielsweise, „Ist der Januar hell und weiß, wird der Sommer sicher heiß.“ Und umgekehrt, „Ist der August am Anfang heiß, wird der Winter streng und weiß.“ Während derartige Vorhersagen recht allgemein gehalten sind und der Interpretation einigen Ermessensspielraum überlassen, beziehen sich eine Vielzahl von Bauernregeln auf die sogenannten Lostage. Lostage (auch Lurtage) sind feststehende Tage im Kalender, die nach altem Volksglauben Vorhersagen über die Wetterverhältnisse der folgenden Wochen, Monate und seltener auch des kommenden Jahres ermöglichen. So geht es zum Beispiel darum, den günstigsten Zeitpunkt verschiedener landwirtschaftlicher Tätigkeiten (etwa Aussaat oder Ernte) zu bestimmen und Prognosen über die zu erwartende Ernte abzugeben.

Bauern- und Wetterregeln haben eine lange Tradition, im Weinbau wie in der übrigen Landwirtschaft. Bereits im Altertum waren sie bekannt. Aristoteles unternahm in seiner Meteorologica einen ersten wissenschaftlichen Versuch, Wetterregeln zu ergründen.

Insgesamt gibt es 84 Lostage. Die bekanntesten sind Lichtmess (2. Februar), die Eisheiligen im Mai, der Siebenschläfertag am 27. Juni, St. Martin sowie die zwölf Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig. Die meisten dieser Tage orientieren sich am Heiligenkalender des Kirchenjahrs. Daher sind sie mehrheitlich nach Heiligen benannt. Der Ausdruck „Lostag“ leitet sich von „Los“, einem alten Wort für „Schicksal“ ab. Ein Beispiel für den Weinbau ist St. Gallus (16. Oktober), an dem in alten Zeiten die Weinlese beendet sein sollte. Dieser Tag war früher auch das Ende der befristeten Tätigkeit für die Weingartenhüter. „Scheint die Sonne hell am Urbanitag, wächst guter Wein nach alter Sag“. St. Urban ist Schutzpatron der Weinberge, des Weines, der Winzer und der Küfer, der Urbanstag fällt auf den 25. Mai.

Wie wörtlich derartige Regeln zu nehmen sind, daran scheiden sich die Geister. „Einige Bauernregeln liefern uns wertvolle Anhaltspunkte,“ so Hannes Munter, Kellermeister der Kellerei Eisacktal. „Sie beziehen sich aber weniger auf einen bestimmten Tag als auf einen Zeitraum von meist mehreren Tagen, an denen eine bestimmte Wetterlage eine Rolle spielt.“ Manche Regeln sind selbsterklärend, so zum Beispiel diese: „Kalter Juniregen bringt Wein und Honig keinen Segen.“ „Klar“, so Munter. „Die Schafskälte, die nicht in jedem Jahr auftritt, sorgt für eine verminderte Blüte.“ Banal sind die Regeln trotzdem nicht, es gilt immer, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie einst eine große Rolle spielten, auch wenn das zugegebenermaßen lange her ist.

Ab dem Zeitalter der Aufklärung setzte sich in der Wissenschaft die Lehrmeinung durch, dass Bauernregeln nur selten richtig liegen. Im 17. und 18. Jahrhundert verbesserten viele Naturforscher, z. B. Isaac Newton, Blaise Pascal, Anders Celcius und Daniel Gabriel Fahrenheit, das wissenschaftliche Verständnis von Wettererscheinungen. Die Bauernregeln kamen dabei selten gut weg, galten sie doch als unwissenschaftlicher Schabernack. Als man Ende des 20. Jahrhunderts begann, die Bauernregeln statistisch zu überprüfen und dabei auf das Entstehungsgebiet der jeweiligen Regel achtete, stellte man aber fest, dass Bauernregeln als Erfahrungswerte relativ häufig zutreffen.

Wenn man darüber hinaus die durch Einführung des Gregorianischen Kalenders sich ergebende Datumsverschiebung um zehn Tage berücksichtigt, steigt angeblich sogar noch der Zuverlässigkeitsgrad. 1582 revidierte Papst Gregor der XIII. den bestehenden julianischen Kalender. Der neue Kalender wurde um zehn Tage verkürzt und brachte damit viele bestehenden Bauernregeln aus dem Lot. Eine der bekanntesten Bauernregeln ist der Siebenschläftertag, der Auskunft über den Witterungsverlauf der nächsten sieben Wochen gibt. Datiert auf den 27.6. fällt er seit der Kalenderreform auf den 7. Juli!

Die wissenschaftliche Erklärung für die vergleichsweise hohe Treffsicherheit der Lostage liefern die Großwetterlagen, die sich bereits früh abzeichnen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit jährlich wiederkehren. Die berühmt-berüchtigten Eisheiligen Pankraz, Servaz und Bonifaz, zu denen sich die Sophie gesellt, dürften allen ein Begriff sein, die in Garten, Weinberg oder auf dem Feld aktiv sind. Die nach den Heiligen benannten Lostage zeigen dagegen lediglich statistische Zusammenhänge auf. Das Wetter orientiert sich nicht an ihnen, es besteht also kein kausaler Zusammenhang. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei einzelnen Lostagen zwischen 60 und 90 Prozent, was Anhänger der Bauernregeln gerne als Beweis sehen. Sie verweisen gerne darauf, dass moderne Wettervoraussagen über die nächste Woche im Durchschnitt nur zu 50 Prozent zuträfen. Die Gründe für die unterschiedliche „Trefferquote“ liegen jedoch auf der Hand. Lostage liefern oft nur recht allgemeine 50:50-Aussagen (es regnet oder es regnet nicht). Wissenschaftliche Wettervoraussagen dagegen machen weitaus komplexere Vorhersagen, die in der Genauigkeit dann eben auch mal daneben liegen.

„Wettervorhersagen werden niemals hundertprozentig zutreffend sein“, so Dieter Peterlin, „weil schon kleinste Schwankungen in der Atmosphäre das Wetter stark beeinflussen können. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Wettervorhersage dennoch enorm verbessert. Immer leistungsfähigere Computer, neue Satelliten und bessere Rechenmodelle versuchen das Chaos in der Atmosphäre zu entschlüsseln. Dennoch stößt man immer wieder an die Grenzen. Wie zuverlässig eine Prognose ist, hängt unter anderem von der aktuellen Wettersituation ab. Die Zugrichtung von großräumigen Hoch- und Tiefdrucksystemen kann von den Modellen bereits über mehrere Tage im Voraus gut berechnet werden. Kleinräumige Phänomene, wie Gewitter in den Bergen, hat man hingegen noch nicht gut im Griff. Im Sommer lässt sich meist nur eine Wahrscheinlichkeit von Wärmegewittern angeben, aber nicht der exakte Ort oder die Zeit, auch nicht, wo und wann sich die Gewitterzellen bilden. Im Wesentlichen gilt: fünf bis sieben Tage sind die Vorhersagen im alpinen Raum noch recht zuverlässig, darüber hinaus überwiegt der Zufallsfaktor.“
Zu beachten ist auch, dass die allermeisten Regeln regionale Erfahrungen wiedergeben: Ohne das Wissen, aus welcher Gegend eine Regel kommt, ist die Bauernregel meist wertlos. Darüber hinaus gibt es zu manchem Lostag sich widersprechende Regeln, die eine mag von der Ostseeküste, die andere aus dem Alpenraum stammen. Regeln, die für das gesamte Mitteleuropa verbreitet waren, gibt es sehr wenige. Eine Bauernregel pauschal auf jeden beliebigen Ort anzuwenden funktioniert also nicht! In Südtirol umfasst das Messnetz des Landeswetterdienstes derzeit 84 Wetterstationen, davon befinden sich 48 in den Tälern und 36 am Berg. Die Daten werden alle 10 Minuten automatisch an die Zentrale nach Bozen gesendet, dort verarbeitet, gespeichert und veröffentlicht.

Im Weinbau existieren zahlreiche Bauernregeln bzw. Lostage. Diese müssen nicht unbedingt konform gehen mit den Regeln für die allgemeine Landwirtschaft. So ist Regen zur Zeit der Weinlese unerwünscht, kann für einen Bauern, der andere Feldfrüchte anbaut, aber durchs von Vorteil sein. Ein Beispiel ist der Spruch: „Septemberregen, dem Bauern Segen, dem Winzer Gift, wenn er ihn trifft.“

Einen Faktor sollten wir nicht vergessen. Die Bauernregeln stammen aus einer Zeit, in der klimatisch andere Verhältnisse herrschten als heute. „Die Lese fand damals im Oktober statt, heute zum Teil schon im August,“ so Hannes Munter. „Dementsprechend verzerrt beziehungsweise verschiebt sich die Bedeutung der Wetterregeln.“ Der Klimawandel gibt uns nach wie vor Rätsel auf, das Wetter ist unberechenbarer als früher. Dass die Jahresdurchschnittstemperatur seit den 1960er Jahren um etwa 1,5 Grad Celsius gestiegen ist, hat weitereichende Folgen. Extreme Wetterereignisse wie Hitze, Dürre, Hagel und Starkregen hat es immer schon gegeben, aber in den vergangenen Jahren sind sie häufiger und oftmals heftiger. Wenn es beispielsweise zu einer deutlichen Verfrühung des Vegetationsbeginns vieler Pflanzen kommt, entfalten darauf einsetzende Fröste verheerende Wirkungen, man denke nur an die Frostnächte im April 2017, die einigen Weinbauern heute noch in den Knochen stecken. In einigen Zonen kam es zu Ernteausfällen von bis zu 100 Prozent. Als Frühwarnsystem hilft eine Bauernregel kaum weiter, außer sie bleibt so allgemein gehalten, dass sie so banal wie amüsant ist, frei nach dem Motto: „Kräht der Hahn früh auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.“

NEWSLETTER: Bleiben Sie auf dem Laufenden!

    Mit Nutzung unserer Dienste bzw. Anmeldung stimmen Sie den Bestimmungen der Datenschutzerklärung zu.