Das Porträt

Das Herz auf der Zunge

Er ist jung, fleißig, wissenshungrig, angriffslustig, traditionsbewusst und regelrecht besessen vom Glückselixier Wein. Sommelier-Jungstar André Senoner im Porträt.

von Roman Gasser

Meine Mission war klar: ich wollte einen jungen aufstrebenden Sommelier interviewen, der sich als Aushängeschild der Sommeliervereinigung Südtirol sieht, der leidenschaftlich seinem Beruf nachgeht, sein Herz auf der Zunge trägt und bei nationalen Wettbewerben vorne mitspielt. Ein zukünftiger Hauptakteur der Südtiroler Weinwelt sozusagen.

Ich wollte jemanden treffen, bei dem das Feuer in den Augen lodert, sobald man über die Berufung Sommelier und über die wunderbare und schier unendliche Welt des Weines debattiert.

Ich habe diese Person gefunden. In St. Kassian im Rosa Alpina.

Allein die Fahrt dorthin über das Grödner Joch war ein Abenteuer. Diese imposante und atemberaubende Bergwelt klebt dir regelrecht auf der Windschutzscheibe. Dort angekommen begrüßte mich ein aufgeweckter Sommelier. Sein Name: André Senoner – diesen Namen sollte sich die Südtiroler Weinwelt fortan auf ihrem Notizzettel notieren.

Wir suchten uns ein gemütliches Platzl im wunderschönen Rosa Alpina und redeten gleich volle Pulle drauflos.

Für den 26-jährigen hat allerhöchste Priorität, was sich im Glas befindet, nur das ist ihm wichtig. Ganz nach dem Motto: Die Passion Wein verbindet uns alle. Was dem Gast schmeckt und welche Empfindungen ausgelöst werden, ist für André immer noch das, was wirklich zählt – der beste Sommelier zu sein ist nur sekundär. Nachdem er schon mehrere Podiumsplatzierungen eingeheimst hat und eines Tages einen großen Wettbewerb gewinnen möchte, ist das zwar schön, aber für Senoner bei weitem nicht das Wichtigste.

Laut André ist dem Gast nicht bewusst, ob er von einem Sommelier oder Sommelier-Weltmeister bedient wird. Der Gast muss sehen, dass er von einem Sommelier bedient wird, der sein Handwerk versteht.

„Wenn dir ein Wein Emotionen vermittelt, dann weißt du, dass hier eine Person dahintersteckt, die das wirklich mit dem Herzen macht. Es gibt sehr viele Weine, wo du dieses tolle Gefühl einfach nicht vermittelt bekommst. ,Senza anima’ – also ohne Seele – und das ist nicht gut und du spürst das sofort.“

Der Gast vertraut sich dem Sommelier an. Bedingungslos. Und das ist für André ein tolles Gefühl.

Welche Person wo und mit welchem Verband Weltmeister wird, interessiert ihn relativ wenig. Für ihn ist wichtig, dass man seinen eigenen Weg geht.

André hat öfters Präsentationen und Verkostungen in Hotelfachschulen geleitet – für ihn ist die Glaubwürdigkeit alles, was in diesem Geschäft zählt. Er ist der Meinung, dass man mit einem Glas Chardonnay zum Gast geht und sagt, man spürt die schönen Früchte, Mango, die Passionsfrucht – und der Gast erkennt diese Gerüche nicht, dann ist das nicht förderlich. Laut Senoner darf man niemals den arrogant rüberkommen machen.

Was für ihn wirklich wichtig ist: „Du musst alles ruhig erklären, welche Aromen du im Mund spürst, die schöne Säure, die Struktur, ob der Wein anhaltend ist, tanninhaltig – das sollte man dem Gast erklären.“ Wenn man sagt, man spürt ganz leicht „per dire eine Linse“ … so verliere man nur an Glaubwürdigkeit, so André’s Meinung.

Solche Situationen entscheiden über die Professionalität eines Sommeliers. Für Senoner gibt es viele Sommeliers, die sich selbst maßlos überschätzen.

Die Leidenschaft für den Beruf des Sommeliers hat André bei den Sommelierkursen der Sommeliervereinigung Südtirol für sich entdeckt. Senoner sah sich immer als Kellner. Er will sich stetig verbessern und an sich arbeiten – dadurch immer besser werden und nach Höherem streben. Er sagt über sich selbst: „Ich war immer schon von der glamourösen Weinwelt begeistert. Ich war regelrecht süchtig nach Wissen, und ich hatte ständig den innerlichen Drang, mich zu beweisen und das Wissen reihenweise aufzufressen, um meinen Hunger stillen zu können.“

André intensiviert die Vorbereitungszeit für Wettbewerbe – obwohl ihm dafür eigentlich nicht viel Zeit bleibt. Auch mit der Weinkarte seines aktuellen Arbeitsplatzes setzt er sich ständig auseinander. Er versucht nachzujustieren, Neues zu wagen und zugleich Altes zu bewahren. Hier den perfekten Ausgleich zu finden, ist seine große Motivation.

Für Senoner war klar, dass die Sommelierausbildung nur der Anfang einer langen Reise war – die erste Stufe in Richtung Gipfel. „Du hast dir das Grundwissen angeeignet, aber du stehst noch im Tal und musst erst schrittweise den Gipfel erklimmen.“

Um sein Fachwissen stetig zu verbessern, besucht der 26-jährige regelmäßig Kellereien, denn dort kann man sich hervorragend weiterbilden. Er empfindet es für wichtig, dem Gast auch etwas über die Kellerei erzählen zu können – er gibt die Passion in der Kellerei dem Gast weiter. Er spricht das aus, wovor sich viele drücken wollen: „Die Weinwelt befindet sich im ständigen Wandel und deshalb darf man nie stehen bleiben. Niemand wartet auf dich – du musst selbst die Initiative ergreifen.“

Südtiroler Sommeliers bei Wettbewerben: André ist eine der wenigen Ausnahmen. Der „Master of Friulano“, bei dem es um Weine aus dem Friaul ging, war André’s erster Wettbewerb. Für ihn hat jeder Wettbewerb seine ganz eigene Charakteristik, seine eigene Geschichte. Er bereitet sich intensiv vor und ist überzeugt, dass man – unabhängig von der Platzierung – viel gelernt hat. Natürlich wolle er gut abschneiden, den Arbeitgeber und die Region stolz machen. André verspürt diese Lust, dieses Feuer, das in ihm lodert, er will das Gelernte so gut wie irgend möglich vor der Jury und den Zuschauern präsentieren. „Jedes Erlernte wirst du irgendwann in deiner Zukunft benötigen. Und wenn man sich in der hervorragenden Position befindet, dieses Wissen jederzeit abzurufen, ist das ein phantastisches Gefühl“, so der überzeugte Jungsommelier.

Nicht immer sind die besten Sommeliers Italiens bei den Wettbewerben vertreten, aber trotzdem kann man sich vergleichen. „Für ein paar Stunden sind wir harte Rivalen und nachher herzliche Freunde, die sich über die Weinwelt austauschen. Das ist einfach schön. Vor zwei Jahren habe ich meinen ersten Wettbewerb bestritten und ich wusste nicht, wie ich mich vorbereiten soll. Nach dem Wettbewerb hatte ich einen großen Drang auf Revanche – und das war der Zündstoff für meine Wissenslust. Ich wollte beim nächsten Mal gleich aufs Podium“, so Senoner. Und das hat er geschafft.

Die Harmonie zwischen Speise und Wein ist fundamental wichtig. André sagt, es kann auch passieren, dass eine Speise zu salzig ist, wenn der Wein aber perfekt passt, kann er die Speise retten. Der 26-jährige spricht aus Erfahrung: „Bei der

Speise/Wein-Anpassung muss man gut sein. Du musst zuerst die Speise probieren, jede Zutat analysieren, vor allem der Nachgeschmack spielt eine große Rolle. Und beim Wein spielt vor allem der Jahrgang eine große Rolle. Du solltest immer die perfekte Synthese zwischen den einzelnen Jahrgängen einer Sorte finden. Ein 2015er passt vielleicht mit der Speise nicht so gut zusammen, wie der 2016er. Probieren heißt das Zauberwort und man soll auch Risiko eingehen. Risikobereitschaft ist notwendig, aber nur mit Köpfchen.“

Laut André wird man beim Wettbewerb von der Jury und den Besuchern genauestens beobachtet – und Nervosität wird einem sofort angesehen – wenn man angespannt ist, dann wird man verlieren. Erfahrung spiele auch eine große Rolle. Im Speisesaal sei es ähnlich – keiner ist perfekt, aber man sollte immer von seinen Fehlern lernen, Ruhe bewahren und organisiert bleiben. Man könne sich nur selbst in Schwierigkeiten bringen. In Stresssituationen sei es meistens vom Vorteil, wenn man kurz durchatmet und sich dann wieder auf die Sache konzentriert, so der Sommelier in der Rosa-Alpina.

2014 hat Senoner die Sommelierprüfung bestanden. Das war für ihn die erste Stufe einer langen Treppe, die er noch vor hat zu bewältigen.

Für André gibt es einen großen Unterscheid zwischen einem 1-Sterne und einem 3-Sterne-Restaurant. „Du musst immer darauf achten, wer dein Gast ist – und je höher du im Sterne-Segment unterwegs bist, desto mehr verstehen die Gäste vom Wein. Wenn du nicht vorbereitet bist, machst du eine blöde Figur. In einem gewissen Segment kannst du den Gästen auch nichts mehr vorspielen oder improvisieren.“

Man sollte den Gast, sobald er Platz genommen hat, mit auf eine Reise nehmen. Für Senoner muss der Gast eine Reise machen in die Welt der feinsten Gastronomie. Senoner: „Die große Genussreise erlebt

jeder Gast für sich  individuell – die Sommeliers sind nur die Begleiter.“

Was auch zum Beruf gehört: „sporcare le mani“ (sich die Hände schmutzig machen) – sagt André – dieses Motto ist ihm wichtig. Für André fand in der gesamten Gastronomie ein großer Wandel statt. Früher gab es mehr Disziplin. Das „herumschimpfen“, wie es früher oft der Fall war, ist heutzutage einfach nicht mehr produktiv. Heute geht es gemächlicher und dadurch harmonischer zu.

„Wenn dir ein Wein Emotionen vermittelt, dann weißt du, dass hier eine Person dahintersteckt, die das wirklich mit dem Herzen macht. Es gibt sehr viele Weine, wo du dieses tolle Gefühl einfach nicht vermittelt bekommst. ,Senza anima’ – also ohne Seele – und das ist nicht gut und du spürst das sofort. Wir als Sommeliers sind privilegiert – weil wir wissen, was dahintersteckt. Für viele Menschen ist die Weinwelt zu kompliziert – sie schmecken gewisse Noten nicht und tun sich generell schwer. Man braucht viel Geduld. Wenn du sofort aufgibst, dann ist der Wein einfach keine Passion für dich. Man muss dem Wein auch einen gewissen Respekt zollen. Wenn ich zum Beispiel eine Verkostung mit alten Weinen mache, dann ist das sehr spannend. Der Wein wird vom kleinen Kind zum Mann, und das schmeckt man. Weine haben auch eine Seele“, so der stolze Sommelier.

Wenn André sich ein Weingut kaufen müsste, dann würde er ein Weingut im Langhe-Gebiet in Piemont kaufen. „Ich liebe den Herbst, ich bin auch im Herbst geboren – dieses faszinierende Farbenspiel – ich würde in Langhe einen tollen Weißwein anbauen. Aber ich sehe mich nicht als Weinberg-Besitzer.“

Würde Senoner in Paris den Südtiroler Wein vorstellen müssen, würde er nur den Inhalt des Glases sprechen lassen. „Das Beste kommt immer aus dem Glas. Der Inhalt des Glases spricht zu mir. In Paris würde ich eine Blindverkostung machen, ein Duell zwischen einen französischen und einen Südtiroler Wein.

Das Beste, um sich nur vom Geschmack inspirieren zu lassen, ist für André eine Blindverkostung. Der Gaumen und die Nase lügen niemals. „Der Produzent, das Etikett – du wirst von niemanden beeinflusst. Das wäre auch die beste Möglichkeit, den Südtiroler Wein in der weiten Welt von Paris über New York präsentieren zu können – mittels einer Blindverkostung, gegen einer bekannten Größe. Man sollte öfters zwei tolle Weine gegeneinander antreten lassen – es ist spannend und man kann ohne Beeinflussung äußerlicher Faktoren verkosten und sich auf eine Genussreise begeben und dabei einen Sieger ermitteln, der dich manchmal sehr überrascht“, so André voller Überzeugung.

„Das Beste, um sich nur vom Geschmack inspirieren zu lassen, ist eine Blindverkostung. Der Gaumen und die Nase lügen niemals. „Der Produzent, das Etikett – du wirst von niemanden beeinflusst.“

Für ihn gibt es nicht nur Unterschiede beim Jahrgang, sondern sogar verschiedene Entwicklungen in den einzelnen Flaschen aus einem Karton. „Jede Flasche Wein erzählt ihre eigene Geschichte. Zwei Flaschen vom selben Karton können sich sogar unterscheiden. Einer hat sich besser entwickelt, der andere nicht.“ Das Verständnis für Geschmack ist für den 26-jährigen eine Lebenseinstellung. „Wir Sommeliers sind auch ein wenig Schauspieler. Wir müssen auch spielen können – wichtig ist aber immer authentisch bleiben, mit klaren und deutlichen Ideen und Vorstellungen. Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man sich einfach mal hinsetzen sich selbst hinterfragen, was hat funktioniert, was nicht – und am nächsten Tag einfach alles optimieren. Eine Selbstanalyse durchführen ist immer wichtig.“

Bei all den Zukunftsvisionen kann André auch reflektieren: „Wenn ich jetzt mit dem André vor zwei Jahren sprechen könnte, dann wäre er sehr begeistert, wie ich mein Wissen in nur zwei Jahren weiter ausgebaut habe. Ich kann nicht genau sagen, wo ich mich in zehn Jahren sehe, denn jeder einzelne Tag bringt immer was Neues. Ich will mich weiter steigern und das Wissen weiterhin aufsaugen.“

Bis jetzt nahm Senoner bei fünf großen Wettbewerben in Italien teil – einmal in Friaul, zweimal in Umbrien (Monte Falco), einmal in Verona und einmal in Conegliano im Veneto. Der nächste Wettbewerb wird wieder der „Friulano“ sein – vorher muss er die Prüfung in Mailand absolvieren, um sich für die italienische Meisterschaft in Meran beim Kongress zu qualifizieren. „Ich will in Meran sein und ich hoffe es klappt. Wenn ich mich nicht qualifiziere, komme ich natürlich trotzdem zum Kongress, um auch aktiv mithelfen zu können.“

Der AIS-Kongress in Meran: Für André ist das Kurhaus als Veranstaltungsort der beste Ort, welchen man sich vorstellen kann. „Ich finde es sehr schön, dass in den letzten drei Jahren der Kongress zweimal in den Dolomiten stattfand. Unglaublich. Trentino vor zwei Jahren, letztes Jahr in Sizilien und heuer in Meran. Das heißt wir werden als Region Trentino/Südtirol ernst genommen. Vor zehn Jahren wurden wir als Weinbaugebiet noch nicht so wahrgenommen, aber wir haben uns verbessert, angepasst und vor allem die Qualität enorm gesteigert“ so Senoner. Für ihn ist die einzigartige Paarung zwischen Wein und Berg sehr faszinierend.

André – der selbstbewusste und engagierte Sommelier auf dem Weg zum höchsten Berggipfel – er wird es schaffen, es ist topfit, hochmotiviert, voller Leidenschaft und voller Enthusiasmus – so soll es sein.

Une étoile est née (ein Star ist geboren) …

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