Barolo – Tradition & Evolution

Ein Interview mit Luca (Önologe und CEO) und Elena Vietti (Verkaufs- und Marketingdirektorin), Weingut Vietti, Castiglione Falletto

Foto: ©Vietti

von Franziska Steinhauser

Kaum eine andere Weinregion der Welt löst eine so hitzige Debatte zwischen traditioneller und moderner Innovation aus wie Barolo, Piemont. „Untypisch Traditionalist, typisch Modernist! Oder doch umgekehrt?“ Wir treffen uns am 18. Mai 2022 Nachmittag in Castiglione Falletto, einem kleinen Ort der Gemeinde Barolo, bei einer Temperatur von bereits 30 °C.

DIONYSOS: Wie kann man das Konzept von Barolo – traditionell und weniger traditionell – verstehen?

Ein einfaches Beispiel: In den 50er und 60er Jahren galten Firmen wie Vietti, Mascarello, Rinaldi und Conterno als innovative, moderne Weinproduzenten für die damalige Zeit. Warum? Das wird klar, wenn man die geschichtlichen Hintergründe der Region berücksichtigt. Die Entstehung des Barolos geht bis in das frühe 18. Jahrhundert zurück. Alle wichtigen Weine der Welt wurden mit Alkohol versetzt, auch jene aus Bordeaux und Burgund. Der aus Nebbiolo gekelterte Wein war ebenfalls „aufgespritet“, um ihn für den Export haltbar zu machen. Mit etwas Eis vor Ort konsumiert, war das Getränk wesentlich leichter zu trinken und hatte anstatt 18 Vol% um einiges weniger an Alkohol: der damalige Barolo eben. Allerdings handelte es sich dabei nicht um einen trockenen Wein, sondern um ein aromatisiertes Süßweingetränk. So entstand die Rezeptur für den Vermouth. Diese Art von Wein war für lange Zeit in Mode. Nach dem Kennenlernen moderner Kellertechniken (Stabilisierung, Schwefeln, Filtern u. ä.) in den 30er, 40er und 50er Jahren wurden erstmals für den Export auch trockene Weine hergestellt: sehr reif, meist etwas oxidiert, teilweise sogar unter den Dächern von Häusern gelagert, orangefarben, mit viel Menge an aggressivem und unreifem Gerbstoff. Lange Reifezeiten in Holzfässern von sechs bis zehn Jahren waren Standard. Die damaligen Modernisten und heutigen Traditionalisten begannen in der Zeit der 50er und 60er Jahre erstmals frischere Weine, nicht oxidiert und frei von Weinfehlern zu produzieren. Die Weine wurden für längere Zeit mazeriert und reiften in größeren Holzgebinden. Barolo wurde bekannt.

Welche Ereignisse haben das Gebiet besonders geprägt?

Besonders hervorzuheben ist die Entwicklung in den 60er und 70er Jahren. In dieser Zeit entstand dasselbe Konzept wie im Burgund, nämlich das Keltern von Einzellagen. Firmen wie Vietti und Burlotto hatten erstmals diese Vision. Separat gelesen und vinifiziert, entstanden große Barolos mit einem enormen Entwicklungspotential. Bis dahin wurden die Weine im Piemont aus den verschiedenen Lagen verschnitten. Etwa ein Jahrzehnt später, in den 80er Jahren verkauften viele Bauern ihre Trauben an größere Weinbetriebe wie Marchesi di Barolo, Fontanafredda und Pio Cesare, anstatt selber zu keltern, und verhofften sich dadurch bessere Verdienstmöglichkeiten.
Zur selben Zeit hatte der Weinadvokat Robert Parker eine Vorliebe für dunkle und reichhaltige Weine. Pioniere des modernistischen Lagers, Produzenten wie Altare, Scavino und Sandrone nutzten viel kürzere Mazerationen um das Tannin zu reduzieren. Die Weine blieben mit dieser Technik auch dunkler und intensiver in der Farbe. Die Verwendung französischer Barriques gab zusätzlichen Gerbstoff vom Holzfass für ein langes Reifepotential in der Flasche. Diese Produzenten waren besonders genau, fleißig und innovativ im Weinberg und haben großes Wissen weitergegeben. Vor etwa 10 Jahren ist man zur Erkenntnis gekommen, dass Weine – kurz mazeriert und in kleinen Holzfässern gereift, nicht den Herkunftscharakter widerspiegeln. Viele Modernisten produzieren mittlerweile wieder mehr auf die traditionelle Art, jedoch hat jeder Schritt zur Entwicklung des Barolos beigetragen. Auch wir sind eher Traditionalisten, die aber nicht vor 30 Jahren stehengeblieben sind. Alles hat sich entwickelt, wie z. B. die Kellerhygiene und das Arbeiten im Weinberg. Weinbaubetriebe haben von der geschichtlichen Erfahrung profitiert und gelernt. Jetzt gilt es das Terroir, weniger die Stilistik zu interpretieren. Eine Unterscheidung von traditionellen und modernen Produzenten ist nicht relativierbar und untersteht einer stetigen Entwicklung. Die Arbeit im Keller und Weinberg fordert traditionelle, sowie innovative Maßnahmen.

„Die Top-Lagen des Weinguts befinden sich in der Zone um Barolo und Barbaresco Masseria, Brunate, Lazzarito, Rocche und Villero sind die klingenden Namen der Parzellen, die in kleinen Mengen Trauben höchster Qualität hervorbringen.“

Wo seht ihr die große Herausforderung für die Zukunft?

Eine ganz besondere Herausforderung stellt die Klimaveränderung dar, die die Arbeit im Weinberg verändert. Hier gilt es besonders aufmerksam zu sein, egal welche Philosophie der Produzent im Keller hat. Moderne und aktualisierte Methoden sind unumgänglich, wenn man an „global warming“ denkt und daran, dass in den 90ern und 80ern die Temperaturen wesentlich kühler waren. Schon gar nicht zu reden von den 70er und 60er Jahren, in denen es fast unmöglich war Nebbiolo zur Reife zu bringen. Jetzt dauern die Sommer länger, im September und Oktober ist es oft warm. Vor einigen Jahrzehnten standen reichhaltige, konzentrierte Weine im Fokus. Heute stehen wir vor ganz anderen Herausforderungen: Extrem niedrige Traubenmengen zu lesen wird ein Problem, da die Zuckergrade automatisch steigen. Die Lesemengen werden mittlerweile sogar wieder leicht erhöht, im Weinberg wird weniger und später ausgedüngt, um keine überreifen Trauben mit unausgeglichenen Säurewerten zu haben. Eine Stilistik, die zu Amarone gehört – nicht zu unserer Region. Die Entwicklung der Weine, die Vielfalt der Rebsorte Nebbiolo, aber auch die Umwelt und den Zeitgeist der Menschen gilt es zu berücksichtigen.

Erschließen sich neue Top-Lagen aufgrund der Klimaerwärmung?

Der Önologe Luca ist, wie schon sein Vater Alfredo, ein Verfechter lagenreiner Cru-Weine. Die Top-Lagen des Weinguts befinden sich in der Zone um Barolo und Barbaresco. Masseria, Brunate, Lazzarito, Rocche und Villero sind nur einige der klingenden Namen jener Parzellen, die in kleinen Mengen Trauben höchster Qualität hervorbringen. Bei Einzellagenweinen stellt sich die Frage: Was kann eine Lage auszeichnen, welches besondere Terroir gilt es zu verarbeiten? Daraus ergeben sich neue Top-Lagen, die vor einigen Jahrzehnten noch kühl und unbeständig waren. Eine dieser Lagen, die seit 10 Jahren immer gut „performt“, ist Ravera. Ein Teil von Ravera liegt in der Gemeinde Novello, ein anderer in der Gemeinde Barolo. Hier haben wir ein großes Stück der oberen Lage erwerben können. Das am höchsten gelegene Stück hat die frischeste Luft. Die Vegetation innerhalb dieser Lage vom höchsten bis zum niedrigsten Punkt variiert 7-10 Tage. Im Unterschied zur namenhaften Lage Cannubi (diese Lage liegt tiefer und ist wärmer) reiften die Weine in den 60er und 70er Jahren in Ravera nicht aus. Heute bringt die Lage Cannubi immer noch sehr gute Einzellagenweine, ist aber auch durchaus schwieriger in der Bearbeitung geworden.

Ist Evolution nicht gleich Revolution?

Tradition ist eine Voraussetzung für Evolution. Tradition heißt nicht statisch sein, sondern aus der Vergangenheit die positiven Erfahrungen in die Zukunft zu bringen, sie zu ergänzen und umzusetzen. Das trifft das Arbeiten mit dem Lagenwein Ravera sehr gut. Der erste Jahrgang, den wir daraus gekeltert haben, war 1999 und 2000. Wine spectator hat ihn mit 99 Punkten belohnt, so eine Bewertung gab es für einen Barolo noch nie. Trotz allem haben wir uns entschieden, 10 weitere Jahre mit diesem Wein nicht auf den Markt zu kommen. Wir hatten ihn auch im kleinen Holzfass gelagert. Der Wein war unumstritten ein Erfolg, aber nicht unsere „Wunschinterpretation“ der Lage Ravera. Wir haben ihn für lange Zeit deklassiert und mit dem Nicht-Lagenwein Barolo Castiglione verschnitten. Ein 1970er Jahrgang des Barolo Monprivato von Giuseppe Mascarello hat uns eines Abends so sehr beeindruckt, dass wir nachgeforscht haben, wie dieser Wein produziert worden ist. Als Antwort bekamen wir: „3 Jahre lang mazeriert, aufgrund familiärer Probleme habe man ihn vergessen umzuziehen“. Auch wenn man Fassproben aus den Barriques in Frankreich probiert, sind die Weine immer reduktiv. Diese beiden Eigenschaften wollten wir verbinden. Wir suchten nach einer Technik (unter Schutz von natürlichem CO² der Malolaktik und Fermentation) um diese leichte Reduktion für 3 Jahre auch in unserem Wein Ravera einzufangen. Das ist uns gelungen. Heute wird der Wein für 30 Tage mazeriert und lagert im großen Holzfass. Ab 2010 ist wieder der neue Jahrgang Ravera auf dem Markt erschienen, mit der für uns geeigneten Interpretation dafür.
Als Ergebnis haben wir einen frischen, delikat und doch vielschichtigen, würzigen und sehr langlebigen Barolo.

Welche Einzellage ist im Trend?

Etwas verrückt ist sie schon, die Lage Monvigliero: cool, chic, atypisch und zugleich beeindruckend; 2018 mussten wir das Angebot eines Nachbars und langjährigen Freundes ausschlagen, ein Stück der Lage Monvigliero zu erwerben. Wir konnten es uns zu dieser Zeit nicht leisten. Trotz allem hatten wir die Möglichkeit diese wunderbare Lage zu bewirtschaften. Ein Freund aus Amerika hat zusammen mit einer Gruppe von Investoren das Kaufangebot angenommen. Geschäfte wie diese kennen wir bis jetzt nur aus Frankreich. Für uns und diese Gruppe aus Sammlern produzieren wir in der Form der „mezzadria“, d. h. 45 % der Produktion im Original, samt Flaschen, Etikettierung, Winzername gehen an die Sammler direkt. Die restliche Produktion bleibt in unserem Haus. 2019 bekamen wir unerwartet eine weitere Möglichkeit, ein kleines Stück zu erwerben. Das Angebot haben wir gerne angenommen, und produzieren damit einige Flaschen mehr. Die Vinifikation für diese Lage ist zu 60-70% mit Ganztrauben. Kaum zu glauben: Flaschen der Lage Monvigliero werden in Amerika mit 800 Dollar gehandelt.

Ein Wein mit großer Komplexität, intensive Fruchtaromen nach Walderdbeere, Salbei und Früchtetee, elegantem und feinem Tannin.

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